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Kapitel 2

So funk­tioniert die Schulden­bremse

Die Schuldenbremse be­grenzt die jährliche Schul­den­auf­nahme. Die Grenze ist aber nicht starr, sondern hängt vom Zustand der Wirtschaft ab. Den zu be­stimmen ist schwer.

Die Obergrenze für neue Schulden ist flexibel

Die grundgesetzlich veran­kerte Schulden­bremse legt fest, dass der Bund pro Jahr nur eine be­grenzte Menge neuer Schulden machen darf. Das bedeutet jedoch nicht, dass im Gesetzes­text ein fester Höchst­betrag steht.

Tatsächlich „atmet“ die Schulden­­bremse: die Ober­grenze der jährlichen Neu­ver­schul­dung ändert sich von Jahr zu Jahr. Das geschieht in Abhängigkeit von der Lage der deutschen Wirt­schaft: Ist die Konjunktur schwach – etwas vereinfacht: wenn es also viele Menschen gibt, die gerne mehr arbeiten würden – darf der Staat mit mehr neuen Schulden die Wirtschaft ankurbeln und so zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Ist die Wirtschaft hingegen voll ausge­lastet, weil alle, die können und wollen, arbeiten, muss der Staat sparen.

Warum die Schulden­bremse „atmet“

Ein bildliches Beispiel für das Prinzip, welches die Ober­grenze für die Neu­ver­schuldung bestimmt, ist der Wasser­stand in einer Bade­wanne.

Für ein gutes Bad sollte in der Wanne genug Wasser sein, aber nicht so viel, dass sie überläuft. Ähnlich verhält es sich mit der Wirtschaft und der jährlich erlaubten Neu­verschuldung. Wenn die Wirtschaft eines Landes nicht ausge­lastet ist, kann eine höhere Neuver­schuldung mehr Wirt­schafts­kraft erzeugen. Das erlaubt die Schulden­bremse in diesem Fall. Im Beispiel von oben gesagt: Es ist nicht genug Was­ser in der Wanne, also lässt man mehr ein.

Umgekehrt kann eine Volks­wirt­schaft aber auch über­lastet sein: Wenn die Auftrags­bücher voll sind und die Produktion nicht hinterherkommt, wenn Güter knapp werden und der Arbeits­markt leergefegt ist. Ist zu viel Wasser in der Badewanne, läuft sie über. Dann droht, dass Preise und Löhne zu schnell steigen und das Inflationsziel von 2% über­schrit­ten wird. Jetzt sollte Wasser aus der Bade­wanne gelassen werden. Der Staat tut dies, indem er weniger Geld aus­gibt oder mehr Steuern erhebt. Die Schulden­bremse erfordert in einer solchen Situation daher eine niedrigere Neu­ver­schul­dung oder, wenn die Wanne wirk­lich sehr voll ist, dass gespart wird.

Die Obergrenze der Neuverschuldung atmet also. Damit soll der Staat dafür sorgen, dass die Wirtschaft ihr Po­tenzial ausschöpft, ohne dass sie zu schwach oder zu stark aus­gelastet ist. Um im Bild zu bleiben: Über die Zu­gabe oder das Ab­las­sen von Wasser soll die Bade­wanne stets den ge­wünschten Pegel haben. Das ist die in Kapitel 1 erwähnte Kon­junk­tur­steuerung.

Das Potenzial der Wirtschaft und die Berechnung der Konjunktur­komponente

Die maximal zulässige Neuver­schuldung innerhalb der Schulden­bremse hängt davon ab, inwieweit das Potenzial der Wirt­schaft ausgereizt ist, be­ziehungs­weise wie hoch das Was­ser in der Bade­wanne steht. Dort ist es auf einen Blick zu bestimmen. Die Definition des wirt­schaft­lichen Po­tenzials ist deutlich kompli­zierter.

Im Gegensatz zum Pegelstand des Bade­wassers lässt sich das Potenzial einer Wirtschaft nicht beobachten. Niemand weiß genau, wo die Kapa­zitäts­grenze der Wirtschaft insgesamt liegt – sprich, wie viel sie und wir alle potenziell leisten können. Das liegt auch daran, dass dieses Po­ten­zial nicht in Stein gemeißelt ist. Stimmen die Rahmenbedingungen, etwa durch gute Politik, ist es größer. Schlechte Politik hingegen, oder durch die Klimakrise bedingte Naturkatas­trophen, lassen es schrumpfen.

Das Potenzial der Wirtschaft ist eine immens wichtige Kenngröße, denn die maximal zulässige Neuverschuldung richtet sich danach, wie weit das ak­tuelle BIP davon abweicht. Das Problem: Man kann das Potenzial einer Wirtschaft nur schätzen, und selbst das lediglich an­nähernd.

Hat man das Potenzial geschätzt, wird berechnet, wie weit die Wirtschaft im nächsten Jahr voraussichtlich vom Potenzial entfernt ist und wie sehr sich der Staat dafür verschulden darf. Der ersetzt nämlich nicht die komplette fehlende Nachfrage. Stattdessen soll er lediglich die Wirtschaft stabilisieren, dafür sorgen, dass Unternehmen und Privatleute genug Geld haben, um wieder für Auslastung zu sorgen. Für das Jahr 2024 zum Beispiel schätzt die Bundesregierung die Unterauslastung der Wirtschaft auf 38 Milliarden Euro. Dafür darf sie sich mit 8 Milliarden verschulden. Das ist die sogenannte Konjunkturkomponente.

Das Potenzial und die Vergangenheit

Weil sich das Potenzial der Wirtschaft nicht beobachten lässt, wird es auf Grundlage des Ka­pital­stocks, des Arbeits­po­tenzials und der Produkti­vität geschätzt.

Insbesondere für das Potenzial der Ar­beits­kräfte stellt sich aber die Frage: Wie wird es definiert? Man könnte beispiels­weise davon ausgehen, dass das Potenzial erreicht ist, wenn in Deutschland alle Männer und Frauen gleich viel – in etwa 40 Stunden in der Woche – arbeiten oder in Zeiten des Fachkräfte­mangels niemand über viele Jahre arbeitslos sein muss.

Doch so wird das Ar­beits­markt­­potenzial nicht geschätzt. Stattdessen betrachtet man – etwas vereinfacht – die durch­schnitt­lichen Arbeits­zeiten der Ver­gan­gen­heit und legt es als Potenzial der Zukunft fest. Haben beispiels­weise Frauen früher weniger am Arbeits­markt teilgenommen, geht man davon aus, dass das künftig nicht anders sein kann. Oder wenn zuvor viele Menschen in Teil­zeit gearbeitet haben, wird angenommen, dass sie auch weiterhin nur in Teil­zeit zur Verfügung stehen.

Das klingt nicht nur seltsam, es hat auch kontraintuitive Konsequenzen. Würden – etwa aufgrund des Ausbaus von Betreuungs­angeboten – mehr Frauen in Zukunft mehr arbeiten als in der Vergangenheit, würde das Arbeits­potenzial als überschritten gelten. Die Wirtschaft wäre „über­lastet“ und die Schuldenbremse würde vorgeben, dass gespart werden muss.

Einfach, aber nicht erstre­benswert

In der Logik der Schul­den­bremse hat die deutsche Wirtschaft also ihr Potenzial erreicht, wenn sie sich so ent­wickelt wie in der Ver­gang­en­heit. Das ist eine ein­fache Definition, aber eben auch eine folgen­reiche.

Denn wenn man das Arbeits­markt­potenzial so auslegt, zementiert man damit die Ver­gang­enheit als Richt­wert für die Zukunft: „Haben Frauen früher weniger gearbeitet, werden sie das auch in Zukunft tun. War Teilzeit in der Vergangenheit üb­lich, so gilt das auch für morgen.“

Für die Staats­finanzen ist das alles andere als nach­haltig. Die größte Heraus­forderung für den Bundes­haushalt ist die Rente: Je weniger die Menschen im Erwerbsleben verdienen, desto mehr muss der Staat die gesetzliche Rentenversicherung aus dem Haushalt bezuschussen, da die direkten Einnahmen der Rentenversicherung nicht mehr ausreichen. Jede Regierung, der nach­haltige Staats­finanzen wichtig sind, sollte also ein großes Interesse daran haben, dass alle, die können und wollen, Geld verdienen.

Zudem müssen wir angesichts des Arbeitskräftemangels aus dem ver­füg­baren Arbeits­potenzial herausholen, was möglich ist. Die Schulden­bremse, so wie sie heute ist, passt also nicht mehr recht in unsere Zeit.

Das Grund­gesetz ist keine Hürde

Was könnte man an der Schulden­bremse ändern – und wie?

Manche sagen, das ginge gar nicht, weil die Schulden­bremse im Grund­gesetz steht. Und für Grund­gesetz­änderungen benötigt man in Bun­destag und Bundesrat eine Zwei­drittelmehrheit – eine hohe Hürde, die nur schwierig zu nehmen ist.

Tatsächlich aber führt der Weg zu Ver­änder­ungen nicht über das Grund­gesetz, denn dort wird das frag­würdige Potenzial gar nicht definiert. Einige der oben beschriebenen Details stehen nicht im Gesetz, sondern lediglich in Regie­rungs­­dokumenten. Sie können deswegen jederzeit von der Bundes­regierung geändert werden.

Man kann die Schulden­­bremse also refor­mieren und ihre proble­matischen Aspekte verbessern, ohne dafür das Grund­­gesetz zu ändern. Wie das gelingt, erfahren Sie in Kapitel 3.